STAND 27.09.2022 | LESEZEIT 20 MIN
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen einen besonderen Kündigungsschutz. Dennoch ist die Kündigung natürlich nicht gänzlich unmöglich. Schwerbehinderte können sich genauso wie andere Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung zur Wehr setzen und auf diese Weise eine Abfindung erstreiten. Aber auch in anderen Situationen sind Schwerbehinderte berechtigt, eine Abfindung zu erhalten. Wann dies der Fall ist und mit welcher Abfindungssumme Sie rechnen können, erfahren Sie in diesem Beitrag.
Aus rechtlicher Sicht ist nicht jede Behinderung gleich eine Behinderung. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Jede Behinderung, sei sie körperlicher oder geistiger Natur, wird individuell bewertet – denn schließlich lässt sich ein dauerhafter Tinnitus nicht mit dem Verlust eines Armes vergleichen. Dafür gibt es in Deutschland den „Grad der Behinderung“ (GdB), anhand dessen die Schwere der Behinderung ermittelt wird. Ab einem Grad der Behinderung von 10 gilt man bereits als behindert – eine Schwerbehinderung setzt jedoch mindestens einen Grad der Behinderung von 50 voraus. Auch ein Schwerbehindertenausweis wird erst ab diesem GdB ausgestellt.
Das Arbeitsrecht stellt hier noch einmal einen ganz besonderen Fall dar. Auch ohne Grad der Behinderung von 50 kann man sich von der Agentur für Arbeit mit einem Schwerbehinderten gleichsetzen lassen, wenn die Behinderung verhindert, dass eine normale Anstellung gefunden werden kann. Dies ist ab einem GdB 30 möglich (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Liegt der Grad der Behinderung unter 30, ist eine solche Gleichsetzung nicht möglich.
Als schwerbehinderter Arbeitnehmer genießen Sie einen besonderen Kündigungsschutz. Das gilt allerdings erst, nachdem Sie über die Probezeit hinaus für ein Unternehmen arbeiten. Innerhalb der ersten sechs Monate (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX) können Arbeitgeber auch bei Schwerbehinderten jederzeit eine Kündigung aussprechen. Sobald die Probezeit jedoch beendet wurde, genießen Sie als schwerbehinderter Arbeitnehmer einen besonderen Kündigungsschutz. Möchte der Arbeitgeber Sie dennoch kündigen, so muss er dafür zunächst den Betriebsrat und (falls vorhanden) die Schwerbehindertenvertretung informieren (§ 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).
Die Kündigung ist aber auch nach der Information an Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung nicht ohne Weiteres möglich. Zusätzlich dazu benötigt der Arbeitgeber auch die Zustimmung des zuständigen Integrationsamtes (§ 168 SGB IX), wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer gekündigt werden soll. Diese Integrationsstelle analysiert nun zunächst die Unternehmenssituation. Dabei werden Arbeitgeber, schwerbehinderter Arbeitnehmer und, falls vorhanden, auch Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung befragt. Falls es sinnvoll erscheint, werden zunächst Integrationsmaßnahmen ergriffen, die die Weiterarbeit des schwerbehinderten Arbeitnehmers im Unternehmen ermöglichen sollen – zum Beispiel die Bereitstellung bestimmter Arbeitsmittel. Wenn allerdings das Integrationsamt zu dem Entschluss kommt, dass eine Weiterbeschäftigung des schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht sinnvoll erscheint, stimmt es der Kündigung zu. Dennoch haben Sie als Schwerbehinderter die Möglichkeit, gegen die Kündigung vorzugehen.
Der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte gilt nicht für jedes Arbeitsverhältnis. Auch hier gibt es zwei Sonderfälle, die eine vom Integrationsamt unabhängige Kündigung möglich machen:
Ferner ist mit einer Kündigung zu rechnen, wenn man als Schwerbehinderter die Anforderungen eines Jobs nicht erfüllt. Jede Berufsposition geht mit einer gewissen Erwartungshaltung einher. Können schwerbehinderte Arbeitnehmer diese Anforderungen nicht erfüllen, ist eine Kündigung gerechtfertigt.
Es ist durchaus möglich, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer zu kündigen. Lediglich der Verwaltungsaufwand ist etwas höher, als es bei einem normalen Arbeitnehmer der Fall ist. Generelle Fragen zur Rechtmäßigkeit einer Kündigung spielen aber auch bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer eine Rolle – ebenso wie es auch bei allen anderen Arbeitnehmern der Fall ist.
Bevor ein schwerbehinderter Arbeitnehmer gekündigt werden kann, muss zunächst eine Prüfung durch das zuständige Integrationsamt stattfinden. Dabei werden verschiedene Fragen mit Arbeitgeber, Arbeitnehmer und ggf. Betriebsrat besprochen:
Ob die Kündigung gerechtfertigt ist oder nicht, entscheidet das zuständige Integrationsamt im Anschluss nach eigenem Ermessen. Erfolgt die Freigabe des Integrationsamts, kann der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer kündigen.
Die Kündigungsfrist eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ist in der Regel länger als bei herkömmlichen Arbeitnehmern. Daran müssen sich Arbeitgeber halten, sofern nicht schwerwiegende Gründe einen sofortigen Austritt aus dem Unternehmen rechtfertigen. Die Mindestkündigungsfrist für Schwerbehinderte liegt bei 4 Wochen ab dem Zeitpunkt der Kündigung (§ 169 SGB IX). Je nach vertraglicher Einigung ist auch eine längere Kündigungsfrist möglich – ein kürzerer Zeitraum ist allerdings nicht rechtmäßig.
Ab dem Zeitpunkt, an dem die Kündigungsfrist beginnt, haben Sie als Schwerbehinderter die Möglichkeit, eine Kündigungsschutzklage anzustreben.
Werden Sie als schwerbehinderter Arbeitnehmer gekündigt, so steht Ihnen unter Umständen eine Abfindung zu. Die Berechnungsgrundlage ist allerdings nicht speziell auf Schwerbehinderte ausgelegt, sondern stuft alle Arbeitnehmer gleichwertig ein. In der Regel ist mit einer Abfindung in Höhe von einem halben Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr zu rechnen. Diese Bemessungsgrundlage dient generell zur Errechnung einer möglichen Abfindung. Abfindungen können entweder in direkter Kommunikation mit Ihrem Arbeitgeber ausgehandelt werden – zum Beispiel, wenn Sie sich im Gegenzug darauf verständigen, der Kündigung zuzustimmen und keine Kündigungsschutzklage anzustreben – oder aber gerichtlich erstritten werden, wenn die Kündigung ungerechtfertigt erfolgte.
Als schwerbehinderter Arbeitnehmer befinden Sie sich in einer sehr guten Verhandlungsposition. Der Alltag hat gezeigt, dass Arbeitgeber bereit sind, Schwerbehinderten im Falle einer Kündigung höhere Abfindungssummen zu zahlen – um damit aufwendige Kündigungsprozesse zu umgehen und Bürokratie zu vermeiden. Nutzen Sie diese Verhandlungsposition aus, um eine höhere Abfindungssumme zu erreichen.
Für Menschen mit Behinderungen hat der Gesetzgeber einen Steuerfreibetrag festgelegt, in seiner Höhe abhängig von dem Grad der Behinderung. Diese Pauschale steht jedem schwerbehinderten Arbeitnehmer zu. Über diese Kosten soll ein höherer Bedarf an Medikamenten, Pflege-Dienstleistungen und mehr abgedeckt werden. Ob es für Sie von Vorteil ist, die steuerfreie Pauschale in Anspruch zu nehmen oder die tatsächlichen Kosten steuerlich geltend zu machen, hängt immer vom individuellen Einzelfall ab.
Diese Freibeträge werden direkt durch das Finanzamt auf Ihrer Lohnsteuerkarte vermerkt. Ab dem Jahr, in dem die Eintragung erfolgte, profitieren Sie von der zusätzlichen Steuerentlastung. Liegt die Behinderung schon länger vor, kann auch eine bis zu drei Jahre zurückgehende Anerkennung erfolgen – die zu viel gezahlten Steuern erhalten Sie in einem solchen Fall zurückgezahlt.
Grundsätzlich ist auch für Schwerbehinderte eine betriebsbedingte Kündigung möglich – das allerdings nur, wenn das Integrationsamt der Kündigung zustimmt. Auch hier wird die individuelle Situation im Unternehmen geprüft, ehe die Kündigung erfolgen darf. Nur wenn das Integrationsamt seine Zustimmung zur Kündigung erteilt, darf diese rechtsgültig ausgesprochen werden.
Aber: Die Schwerbehinderung muss zugunsten des Arbeitnehmers ausgelegt werden (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG). Vor der Kündigung hat daher zusätzlich eine Sozialauswahl stattzufinden, bei der geprüft wird, ob andere Arbeitnehmer für die Kündigung infrage kommen. Ist dies der Fall, müssen die betroffenen Arbeitnehmer zuerst entlassen werden, ehe auch für schwerbehinderte Arbeitnehmer eine betriebsbedingte Kündigung möglich ist.
Weitere Informationen zu den infrage kommenden Kündigungsgründen erhalten Sie hier. Zudem können Sie sich hier über allgemeingültige Kündigungsfristen informieren und allerlei Informationen rund um Kündigungsschutzklage und Kündigungsschutzgesetz einholen.
Sind Sie als schwerbehinderter Arbeitnehmer von einer Kündigung betroffen, so haben Sie sehr gute Chancen, eine hohe Abfindungszahlung auszuhandeln. Wie hoch die Summe ausfällt, kann Ihnen ein Fachanwalt für Arbeitsrecht mitteilen. Nutzen Sie alternativ auch unseren Abfindungsrechner, um die zu erwartende Höhe der Abfindungszahlung einzuschätzen.
Alternativ haben Sie natürlich auch die Möglichkeit, von Ihrem Recht auf Kündigungsschutz Gebrauch zu machen. Auch hier beraten Sie die KLUGO Partner-Anwälte und Rechtsexperten umfänglich zu Ihrem Fall. Sollte es zu einer Gerichtsverhandlung kommen, steht Ihnen ein Fachanwalt für Arbeitsrecht zur Seite, der Ihre Interessen für Sie optimal vertritt. So haben Sie die Möglichkeit, eine Weiterbeschäftigung im Betrieb mit Ihrem Arbeitgeber auszuhandeln – aber auch eine hohe Abfindungssumme ist vor Gericht möglich. Hier erfahren Sie alles Weitere zur Kündigungsschutzklage und Abfindung. Nutzen Sie die telefonische Erstberatung von KLUGO, um eine erste Einschätzung zum Sachverhalt durch unsere Partner-Anwälte und Rechtsexperten zu erhalten. Im Anschluss entscheiden Sie selbst, ob Sie die umfassende Beratung unserer Partner-Anwälte nutzen möchten. Unser Tipp: Lassen Sie eine Kündigung grundsätzlich auf Formfehler prüfen. Möglicherweise handelt es sich um eine unrechtmäßige Kündigung.
Dann nutzen Sie einfach die KLUGO Erstberatung. Die Erstberatung ist ein Telefongespräch mit einem zertifizierten Anwalt aus unserem Netzwerk.
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